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Johanna Hügel

Zur Person
Seit 2023 Wissenschaftliche Koordinatorin und Post-Doc der Forschungsstelle Politiken der Wahrheit
2023 Visiting Fellow, zweimonatiger Aufenthalt am Institut für Zeitgeschichte Ljubljana (Inštitut za Novejšo Zgodovino)
2022 Stipendiatin, sechsmonatiger Aufenthalt am Leibniz Institut für Europäische Geschichte Mainz
2018-2022 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Graduiertenkolleg 1956 „Kulturtransfer und ‚kulturelle Identität‘. Deutsch-russische Kontakte im europäischen Kontext“, Universität Freiburg (bis 14.03.2022 internationales Graduiertenkolleg mit der RGGU Moskau)
2018 Stipendiatin, dreimonatiger Aufenthalt an der Ilia Universität, Tbilissi (Georgien)
2014-2017 Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung
2016-2017 Kollegiatin am Forum Scientiarum der Universität Tübingen [heute: Center for Interdisciplinary and Intercultural Studies]
2011-2017 Studium Geschichte und Deutsch (Lehramt / Staatsexamen), an der Universität Tübingen und MGU Moskau
Forschungsprojekte

Russlands Politiken der Wahrheit und seine Selbstinszenierung als antikoloniale Schutzmacht (aktuelles Post-Doc Projekt)

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind sowohl in der medialen Berichterstattung als auch in der geschichts- und politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung die kolonialen Dimensionen der Politiken des russischen Imperiums, der Sowjetunion sowie der Russischen Föderation verstärkt in den Blick gerückt. Bisher ist jedoch weitgehend unbeachtet geblieben, dass der Begriff des „Kolonialismus“ auch in den Rhetoriken des Putin-Regimes eine immer zentralere Rolle spielt. Nicht nur in Bezug auf Staaten und Gesellschaften des Globalen Südens inszenieren dessen Staatsvertreter:innen Russland zunehmend als eine antikoloniale Schutzmacht. Auch in Bezug auf die russische Gesellschaft, sowie die Neue Rechte Europas wird ein Narrativ lanciert, innerhalb dessen Russland als Garant des moralisch Guten und historisch Wahren figuriert. Eine Politik der sogenannten „traditionellen Werte“, die sich durch eine ultrakonservative Geschlechterpolitik, Queerfeindlichkeit und Antifeminismus auszeichnet, wird unter dem Begriff des ‚antikolonialen‘ als Verteidigung vermeintlich traditioneller Lebensweisen vorangetrieben. Ebenso dient eine spezifische Geschichtspolitik dazu, die Vergangenheit zu einem stets präsenten Prisma zu machen, durch das die Gegenwart gelesen und gedeutet werden kann. Bei öffentlichkeitswirksamen Medienereignisse wie dem Russland-Afrika-Gipfel wird die Erinnerung an Unterstützung antikolonialer Befreiungsbewegungen durch die Sowjetunion zunehmend Teil dieser Geschichtspolitiken, die Russland „auf der richtigen Seite der Geschichte“ verorten.

Ziel des Projektes ist es, diese tieferliegenden Narrative und Strategien zu analysieren, die der tiefgreifenden Neustrukturierung von Wirklichkeit und sozialer Zugehörigkeit in der russischen Föderation zugrunde liegen. Dabei wird methodisch insbesondere auf Ansätze aus der politischen Epistemologie und der Praxeologie zurückgegriffen. Eine solche Analyse der epistemologischen Ebene gegenwärtiger russischer Politiken ist nicht nur unabdinglich, um die Vorgänge innerhalb der russischen Föderation zu verstehen, sondern auch um Aneignungen der postkolonialen Theorie durch die globale Neue Rechte entschlüsseln zu können. Sie kann darüber hinaus auch Ansätze liefern, zu analysieren, warum sich auch Teile der globalen Linken und der dekolonialen Schule nicht klar von dem Regime Putins distanzieren. Dass dessen Rhetorik überhaupt verfängt, verweist auch auf die anhaltende Präsenz der europäischen kolonialen Vergangenheit – insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent – und auf die Dringlichkeit einer kritischen Aufarbeitung.

Kunst, Ethnographie und das verborgene Leben der Dinge, Petersburg 1890-1920 (Dissertationsprojekt, verteidigt)

Im Rahmen des Projektes wurde ein Korpus ethnographischer Objekte untersucht, der von dem lettisch-russischen Künstler und Kunsttheoretiker Voldemārs Matvejs / Vladimir Markov (1877–1914) in den frühen 1910er Jahren zusammengestellt, fotografiert und in den ersten russischsprachigen Schriften zu afrikanischer und ozeanischer Kunst in Petersburg publiziert wurde. Latours Diktum „Follow the Actors“ folgend, wurden die Wege ausgewählter Objekte aus ihren Herkunftskontexten über imperiale museale Sammlungen und bis in die Kunst rekonstruiert. Dabei wurde insbesondere nach den wissensgeschichtlichen Bedeutungen der Objekte, ihrem ontologischen Status sowie ihrer Beziehung zu Zeitlichkeit gefragt.